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 Ich fahr’ so gerne Rad ...

Geschichten vom Glück auf zwei Rädern


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Angesichts von Radwettbewerben, bei denen vermutlich der gewinnt, der am geschicktesten gedopt hat, von unterschiedlichsten Material- und Konstruktionskonzepten beim Gerät, einem stetig ausgebauten Netz von Radwegen und betreuten mehrtägigen Radtouren sowie einem enormen Angebot an praktischer und funktioneller Kleidung vergisst der Radler des 21. Jahrhunderts leicht, was für ein Abenteuer das Radfahren in der Anfangsphase dieses Sports war.
"Ich fahr’ so gerne Rad" enthält Geschichten, Berichte und Auszüge aus längeren Werken, die sich mit dem Fahrradfahren in längst vergangenen Zeiten befassen. Als Erster meldet sich Mark Twain zu Wort und erzählt von seinen ersten Erfahrungen mit einem Hochrad, gefolgt von Margaret V. Le Long mit einem Ausschnitt aus ihrem Bericht über eine Durchquerung Amerikas mit dem Fahrrad (man bedenke, dass sie dies 1898 niederschrieb und es somit in einer Zeit erlebte, in der von Frauenemanzipation wenig zu spüren war!). Es treten einige sehr bekannte Autoren auf wie Egon Erwin Kisch, Giovanni Guareschi ("Don Camillo und das Fahrrad"), Simone de Beauvoir, Arthur Conan Doyle (selbstverständlich mit einer Sherlock-Holmes-Geschichte), Ludwig Ganghofer, Hans Fallada und Emile Zola, daneben auch eine Reihe weniger berühmter Schriftsteller, die aber ebenfalls je nach Thema spannend oder humorvoll von ihren Erfahrungen mit dem Drahtesel berichten.
Amalie Rother schreibt 1897 über die ersten Frauen, die, angepöbelt und verlacht, in Berlin dem Radsport frönten, und über die Selbstverständlichkeit des Frauenradsports schon wenige Jahre später; auch verfasst sie eine Art Radlerinnen-Bekleidungsknigge, über den sich ihre hundert Jahre später geborenen Geschlechtsgenossinnen prächtig amüsieren. Besonders originell sind die verschiedenen Beschreibungen von "Fahrschulen", die es im 19. Jahrhundert zum Erlernen des Radfahrens tatsächlich gab, und ihren Zöglingen. Aber auch Stimmungen auf Radtouren, Rennen und Fahrradmessen, das Fahrrad als schmückendes Accessoire einer Liebesgeschichte und aparte Erzählungen über nicht zustande gekommene Rennfahrerkarrieren und vieles mehr sind Gegenstand der Geschichten um das Fahrrad und seine Verehrer.

Wie in den meisten Anthologien wird der Leser auch hier Beiträge finden, die ihn mehr ansprechen als andere, insgesamt aber ist die Zusammenstellung vortrefflich gelungen, zumindest für Leser, die Sinn für Nostalgie haben und Fahrräder lieben. Abgesehen vom Unterhaltungswert - den allein schon die Größen wie Mark Twain, Guareschi und Arthur Conan Doyle garantieren und auf den es in diesem Buch sicher in erster Linie ankommt - kann das Buch auch mit einem recht hohen Informationsgehalt punkten. Zwar erhält der Leser keine kontinuierliche Übersicht über die Geschichte des Fahrrads als Fortbewegungsmittel und Sportgerät, doch dank der vielen in den Beiträgen behandelten Themen und der zeitlichen Streuung der Niederschriften erschließt sich dieser indirekt und natürlich auf sehr originelle Weise.
Die von Frauen verfassten Texte dürften, wie bereits erwähnt, für moderne Radlerinnen besonders interessant sein, und einige männliche Autoren erklären anhand guter Begründungen in ihren Erzählungen, dass das Fahrrad die weibliche Emanzipation im wahrsten Wortsinn ins Rollen gebracht habe.
Wenn ein französischer Journalist nun sarkastisch seine Enttäuschung über die Rolle des Fahrrads im klassischen Radfahrland Niederlande darlegt, wenn der junge Hans Fallada als schneidiger jugendlicher Radler mit Müh und Not den Frontalzusammenstoß mit einem Pferdefuhrwerk überlebt (Fuhrwerke und ihre Anziehungskraft auf Radfahrer scheinen ein stets wiederkehrendes Motiv in der mit dem Radeln befassten Literatur zu sein) oder Simone de Beauvoir mit Sartre während des Krieges eine mehrtägige abenteuerliche Radtour durch Frankreich unternimmt, ist Unvorhergesehenes vorprogrammiert, und dennoch: alle fahren sie gern Rad, die in diesem Buch von ihren Abenteuern berichten.
An etliche der Erzählungen schließen sich Literaturzitate an, die mit dem Radfahren zu tun haben und auf eine sehr unterschiedliche Rezeption des Fahrrads in der europäischen und amerikanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts schließen lassen. Über die entsetzten Unkenrufe bezüglich der vom Fahrrad bedrohten Moral und der so gefährlichen Technik können sich moderne Rennrad- oder Mountainbikebesitzer wunderbar amüsieren - und ihre Euphorie trotzdem mit manchem prominenten Vertreter des frühen 20. und des 19. Jahrhunderts teilen.
Kurz, diese Lektüre ist charmant, unterhaltsam und lehrreich für jeden Fahrradfreund und eignet sich daher auch bestens als Geschenk.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 01. Mai 2007 | ISBN: 9783423209854 | Preis: 7,95 Euro | 296 Seiten | Sprache: Deutsch

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